Marcus Lingel: Bereit für weitere Übernahmen

Von Christian Schnell. Zuerst veröffentlicht im Handelsblatt in Ausgabe Nr. 200 (15./16./17. Oktober 2021) – Originalartikel als PDF

Mit dem Zukauf der Bank Schilling ist der Eigentümer der Merkur Privatbank in eine neue Dimension vorgestoßen. Inzwischen sind sogar weitere Übernahmen denkbar.

Wenn sich die internationale Banker-Elite in London und New York trifft, ist Marcus Lingel nie dabei. Selbst am deutschen Finanzplatz in Frankfurt ist die Merkur Privatbank eher eine Randerscheinung. Dabei hat der 52-jährige Schwabe im vergangenen Jahr eine der bedeutendsten Übernahmen im deutschen Bankensektor durchgezogen. Die Merkur Bank aus München hat die Bank Schilling aus dem unterfränkischen Hammelburg übernommen.

Entstanden ist so die zweitgrößte inhabergeführte Privatbank Deutschlands hinter der Berenberg Bank. Aus der Merkur Bank wurde die Merkur Privatbank. Womit nebenbei auch noch die Historie verlängert wurde. Die Merkur Bank entstand erst im Jahr 1959 und wurde 1986 von Marcus Lingels Vater Siegfried übernommen. Die Bank Schilling blickt dagegen auf eine Historie bis ins Jahr 1923 zurück. Entsprechend steht nun „Privatbank seit 1923“ im öffentlichen Auftritt der fusionierten Bank.

Marcus Lingel ist indes noch immer das, was er in der alten Form bereits war: Vorsitzender der Geschäftsleitung und persönlich haftender Gesellschafter. Und „Bankier“, wie er sich selbst gerne nennt. Seit zwölf Jahren führt er die Bank, die nach der Fusion nun zu den größten inhabergeführten Privatbanken in Deutschland gehört.

Im Jahr 1986 hatte sein im vergangenen Jahr verstorbener Vater Siegfried die einst von einem Cousin des Pianisten Vladimir Horowitz gegründete Bank übernommen. Den Schwaben – ursprünglich aus dem Baugewerbe – reizte die Banklizenz, die in der damals bereits boomenden Baubranche neue Möglichkeiten eröffnete.

Stark wachsende Vermögensverwaltung

Schon im Jahr nach der Übernahme führte Siegfried Lingel die Bank zurück in die Gewinnzone. „Das ist eine andere Kultur, wir sind unabhängig“, so der Seitenhieb von Marcus Lingel auf die Konkurrenz der großen Geschäftsbanken, aber auch gegen die mächtigen Verbundstrukturen der Sparkassen und Genossenschaftsbanken.

Mit seinen 52 Jahren fühlt er sich gerade in seiner „persönlichen Sturm-Drang-Zeit“. Nach wie vor steht er im Fall eines wirtschaftlichen Misserfolgs auch mit seinem persönlichen Vermögen gerade.

Die Übernahme des Bankhauses Schilling wenige Monate vor Ausbruch der Pandemie war dafür der Gradmesser. War die Merkur Bank davor ein Spezialinstitut, das seine Schwerpunkte im Kreditgeschäft mit Zwischenfinanzierungen von Immobilien und im Leasinggeschäft hatte, so kam mit der Bank Schilling die Vermögensverwaltung dazu – besonders für die gehobene Privatkundschaft.

Beide Bereiche sind inzwischen fast deckungsgleich. Damit entstand ein neuer Schwerpunkt. „Das Anlagegeschäft liegt inzwischen sogar über dem Kreditgeschäft“, freut sich Marcus Lingel.

Und das mit deutlich steigender Tendenz: Bei der Übernahme im Jahr 2019 brachte Schilling rund 1,7 Milliarden Euro an Vermögensanlagen in die neue Bank ein, 450 Millionen Euro waren bis dahin bei der Merkur Bank. Im dritten Quartal überschritt das gemeinsame Haus die Marke von drei Milliarden Euro. Der Zusammenschluss brachte somit auch in Pandemiezeiten deutliche Zuwächse. Allein im dritten Quartal dieses Jahres wuchs das Ergebnis um mehr als 18 Prozent auf 13,9 Millionen Euro.

Der erfolgreiche Zusammenschluss hat Marcus Lingel, der zuvor lange die überschaubaren Strukturen seines Hauses betonte, in gewisser Weise umdenken lassen. „Ich habe gelernt, wie man eine Bank übernimmt. Und ich hätte keine Scheu, es wieder zu tun“, so Lingel. Manch einer in der Branche mag das wie eine Kampfansage betrachten. Marcus Lingel sieht es eher als eine Option, bei der von vornherein klar ausgelotet sein muss, ob sich für einen Zusammenschluss ein langfristig angelegter Mehrwert ergibt.

Die Tendenz dabei gibt die Branche selbst vor. Seit Jahren tobt dort ein harter Kampf um Marktanteile. Die Banken leiden unter dem Niedrigzinsumfeld, hohen Kosten und dem Druck der Regulatoren. Hinzu kommen neue Angreifer aus dem Fintech-Umfeld, aber auch die großen amerikanischen Tech-Konzerne haben den Finanzsektor entdeckt und experimentieren mit ihren prall gefüllten Kassen im Bereich Zahlungsverkehr, Vermögensverwaltung und Finanzierungen.

Unter den Privatbanken übernahm zuletzt Hauck & Aufhäuser das Bankhaus Lampe, die Oldenburgische Landesbank ging an den US-Finanzinvestor Apollo. „Ich will künftig auf der Seite sein, die aufnimmt“, gibt Marcus Lingel klar die Richtung vor. Dabei geht er auch entgegengesetzte Wege als die Konkurrenz. Erst vor wenigen Wochen hat die Merkur Privatbank ihre Filiale in Düsseldorf um vier Mitarbeiter verstärkt. Insgesamt hat sich die Mitarbeiterzahl seit dem Zusammenschluss auf rund 420 mehr als verdoppelt.

Der Aktienkurs der Merkur Privatbank, die im Münchener Kleinwertesegment Maccess und im Frankfurter Open Market notiert ist, stieg seit Jahresbeginn um rund 50 Prozent. Ein solch außergewöhnlicher Kursanstieg steigert inzwischen auch die Erwartungen am Kapitalmarkt.

Philipp Häßler, Analyst bei Pareto Securities in Frankfurt, hat die Aktie nach den Zahlen zum ersten Halbjahr herabgestuft. Statt zum Kauf rät er jetzt nur noch zum Halten der Aktie. Grund für ihn ist die Geschäftsentwicklung, die zwar erneut Zuwächse zeigte, allerdings in einigen Bereichen nicht in der von ihm erwarteten Größenordnung.

Nachfolge der Privatbank noch nicht geregelt

So bekommt auch die Merkur Privatbank zu spüren, wie es plötzlich ist, zum Getriebenen der Kapitalmärkte zu werden. Der stark steigende Aktienkurs hat dazu geführt, dass jetzt erst einmal abgewartet werden soll, wie sich die Bank in Zukunft entwickelt. Das Jahresziel sieht Analyst Häßler jedoch als gut erreichbar an.

Marcus Lingel nimmt solche Aussagen als Ansporn, aber auch mit Gelassenheit. Dabei erdet ihn auch das humanitäre Engagement, das die Familie Lingel seit Langem in einer der ärmsten Regionen der Welt pflegt. Siegfried Lingel hatte das bereits vor Jahrzehnten aufgebaut, sein Sohn Marcus Lingel hat als Honorarkonsul der Republik Mosambik von ihm auch die Verantwortung für die Deutsch-Mosambikanische Gesellschaft übernommen.

Das finanzielle Engagement, das sich vor allem auf Kindergärten, Schulen und Universitäten bezieht, soll nun von 100.000 Euro auf 200.000 Euro im Jahr ausgeweitet werden. „Ich habe den großen Willen, hier das Engagement meines Vaters weiterzuentwickeln“, so Marcus Lingel.

Ob einst eines seiner Kinder für ihn an die Spitze der merkur Privatbank rücken wird? Mit heute 21 beziehungsweise 23 Jahren könnten sie womöglich in einem Jahrzehnt allmählich an die Führung der Bank herangeführt werden. „Die Entscheidung über einen Einstieg überlasse ich jedoch meinem Kindern“, so Marcus Lingel. Wichtig sei, dass die Führung der Bank mit Leidenschaft betrieben wird. Dafür gebe es auch innerhalb der Bank eine Reihe von geeigneten Führungskräften.